Neue Projekte in der russischen Öl- und Gasindustrie, unter anderem auf dem arktischen Schelf, versprechen ein anhaltendes Wachstum des heimischen Marktes für Korrosionsschutzbeschichtungen.
Die COVID-19-Pandemie hatte enorme, aber kurzfristige Auswirkungen auf den globalen Kohlenwasserstoffmarkt. Im April 2020 erreichte die weltweite Ölnachfrage den niedrigsten Stand seit 1995, was den Referenzpreis für Brent-Rohöl nach dem schnellsten Anstieg des Ölangebots auf 28 US-Dollar pro Barrel drückte.
Zeitweise fiel der US-Ölpreis sogar erstmals in der Geschichte ins Negative. Diese dramatischen Ereignisse scheinen die Aktivitäten der russischen Öl- und Gasindustrie jedoch nicht zu beeinträchtigen, da die weltweite Nachfrage nach Kohlenwasserstoffen voraussichtlich schnell wieder ansteigen wird.
Die IEA geht beispielsweise davon aus, dass sich die Ölnachfrage bereits 2022 wieder auf das Vorkrisenniveau erholen wird. Das Wachstum der Gasnachfrage dürfte – trotz des Rekordrückgangs im Jahr 2020 – langfristig zumindest teilweise zurückkehren, da die weltweite Umstellung von Kohle auf Gas zur Stromerzeugung zunimmt.
Die russischen Öl- und Gaskonzerne Lukoil, Novatek und Rosneft sowie weitere Unternehmen planen neue Projekte zur Erdöl- und Erdgasförderung sowohl an Land als auch auf dem arktischen Schelf. Die russische Regierung betrachtet die Erschließung ihrer arktischen Reserven mittels LNG als Kernstück ihrer Energiestrategie bis 2035.
Vor diesem Hintergrund sind die Prognosen für die russische Nachfrage nach Korrosionsschutzbeschichtungen ebenfalls positiv. Laut einer Studie des Moskauer Thinktanks Discovery Research Group belief sich der Gesamtumsatz in diesem Segment im Jahr 2018 auf 18,5 Milliarden Rubel (250 Millionen US-Dollar). Beschichtungen im Wert von 7,1 Milliarden Rubel (90 Millionen US-Dollar) wurden nach Russland importiert, wobei Analysten jedoch einen rückläufigen Trend in diesem Segment erwarten.
Eine weitere Moskauer Beratungsagentur, Concept-Center, schätzte den Absatz auf dem Markt auf 25.000 bis 30.000 Tonnen. So wurde beispielsweise der Markt für Korrosionsschutzbeschichtungen in Russland im Jahr 2016 auf 2,6 Milliarden Rubel (42 Millionen US-Dollar) geschätzt. Der Markt soll in den vergangenen Jahren stetig mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von zwei bis drei Prozent pro Jahr gewachsen sein.
Die Marktteilnehmer sind zuversichtlich, dass die Nachfrage nach Beschichtungen in diesem Segment in den kommenden Jahren steigen wird, obwohl die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie noch nicht abgeklungen sind.
„Unseren Prognosen zufolge wird die Nachfrage in den kommenden Jahren leicht steigen. Die Öl- und Gasindustrie benötigt korrosionsbeständige, hitzebeständige, feuerhemmende und andere Beschichtungen für die Umsetzung neuer Projekte. Gleichzeitig verlagert sich die Nachfrage hin zu einschichtigen, multifunktionalen Beschichtungen. Die Folgen der Coronavirus-Pandemie, die im Übrigen noch nicht vorbei ist, dürfen natürlich nicht außer Acht gelassen werden“, sagte Maxim Dubrovsky, Generaldirektor des russischen Beschichtungsherstellers Akrus. „Bei pessimistischen Prognosen könnte der Baufortschritt in der Öl- und Gasindustrie langsamer voranschreiten als ursprünglich geplant.“
Der Staat ergreift Maßnahmen, um Investitionen anzukurbeln und das geplante Bautempo zu erreichen.“
Nichtpreiswettbewerb
Laut Industrial Coatings gibt es mindestens 30 Anbieter auf dem russischen Markt für Korrosionsschutzbeschichtungen. Zu den führenden ausländischen Anbietern zählen unter anderem Hempel, Jotun, International Protective Coatings, Steelpaint, PPG Industries, Permatex und Teknos.
Die größten russischen Lieferanten sind Akrus, VMP, Russian Paints, Empils, Moscow Chemical Plant, ZM Volga und Raduga.
In den letzten fünf Jahren haben einige ausländische Unternehmen, darunter Jotun, Hempel und PPG, die Produktion von Korrosionsschutzbeschichtungen nach Russland verlagert. Diese Entscheidung ist wirtschaftlich gut begründet. Die Amortisationszeit für die Einführung neuer Korrosionsschutzbeschichtungen auf dem russischen Markt liegt laut Azamat Gareev, dem Leiter von ZIT Rossilber, zwischen drei und fünf Jahren.
Laut Industrial Coatings lässt sich dieses Segment des russischen Beschichtungsmarktes als Oligopson beschreiben – eine Marktform mit einer geringen Anzahl an Käufern, aber einer hohen Anzahl an Anbietern. Jeder russische Käufer hat seine eigenen, recht strengen internen Anforderungen, die die Lieferanten erfüllen müssen. Die Unterschiede zwischen den Kundenanforderungen können erheblich sein.
Daher ist dies eines der wenigen Segmente der russischen Beschichtungsindustrie, in denen der Preis nicht zu den Hauptfaktoren gehört, die die Nachfrage bestimmen.
Rosneft hat beispielsweise laut dem russischen Register der Lieferanten von Beschichtungen für die Öl- und Gasindustrie 224 verschiedene Arten von Korrosionsschutzbeschichtungen zugelassen. Zum Vergleich: Gazprom hat 55 Beschichtungen und Transneft lediglich 34 zugelassen.
In einigen Segmenten ist der Importanteil recht hoch. So importieren russische Unternehmen beispielsweise fast 80 Prozent der Beschichtungen für Offshore-Projekte.
„Der Wettbewerb auf dem russischen Markt für Korrosionsschutzbeschichtungen ist sehr stark“, sagte Dmitri Smirnow, Generaldirektor des Moskauer Chemiewerks. „Das zwingt das Unternehmen, mit der Nachfrage Schritt zu halten und alle paar Jahre neue Beschichtungsanlagen in Betrieb zu nehmen.“ Das Unternehmen betreibe außerdem Servicezentren und überwache die Beschichtungsapplikation, fügte er hinzu.
„Russische Beschichtungsunternehmen verfügen über ausreichende Kapazitäten, um die Produktion auszuweiten, was die Importe reduzieren würde. Die meisten Beschichtungen für Öl- und Gasunternehmen, einschließlich derer für Offshore-Projekte, werden in russischen Werken hergestellt. Um die wirtschaftliche Lage aller Länder zu verbessern, ist es heutzutage wichtig, die Produktion eigener Güter zu steigern“, sagte Dubrobsky.
Laut einem Bericht von Industrial Coatings, der sich auf lokale Marktanalysten beruft, ist ein Mangel an Rohstoffen für die Herstellung von Korrosionsschutzbeschichtungen einer der Faktoren, die russische Unternehmen daran hindern, ihren Marktanteil auszubauen. So herrscht beispielsweise ein Mangel an aliphatischen Isocyanaten, Epoxidharzen, Zinkstaub und einigen Pigmenten.
„Die chemische Industrie ist stark von importierten Rohstoffen abhängig und reagiert sensibel auf deren Preise. Dank der Entwicklung neuer Produkte in Russland und der Importsubstitution zeichnen sich positive Trends in der Rohstoffversorgung der Beschichtungsindustrie ab“, sagte Dubrobsky.
„Um beispielsweise mit asiatischen Anbietern konkurrieren zu können, ist ein weiterer Kapazitätsausbau notwendig. Füllstoffe, Pigmente, Harze, insbesondere Alkyd- und Epoxidharze, können mittlerweile bei russischen Herstellern bestellt werden. Der Markt für Isocyanathärter und funktionelle Additive wird hauptsächlich durch Importe gedeckt. Die Machbarkeit des Ausbaus unserer eigenen Produktion dieser Komponenten muss auf staatlicher Ebene erörtert werden.“
Beschichtungen für Offshore-Projekte im Fokus
Das erste russische Offshore-Projekt war die eisresistente, stationäre Ölförderplattform Prirazlomnaya im Petschora-Meer südlich von Nowaja Semlja. Gazprom entschied sich für Chartek 7 von International Paint Ltd. Berichten zufolge kaufte das Unternehmen 350.000 kg Beschichtungsmaterial zum Korrosionsschutz der Plattform.
Ein weiteres russisches Ölunternehmen, Lukoil, betreibt seit 2010 die Plattform Korchagin und seit 2018 die Plattform Philanovskoe, beide im Kaspischen Meer.
Jotun lieferte die Korrosionsschutzbeschichtungen für das erste Projekt, Hempel für das zweite. In diesem Segment sind die Anforderungen an die Beschichtungen besonders hoch, da eine Sanierung der Beschichtung unter Wasser unmöglich ist.
Die Nachfrage nach Korrosionsschutzbeschichtungen für den Offshore-Bereich ist eng mit der Zukunft der globalen Öl- und Gasindustrie verknüpft. Russland besitzt rund 80 Prozent der Öl- und Gasvorkommen unter dem arktischen Schelf sowie den Großteil der erkundeten Reserven.
Zum Vergleich: Die USA besitzen lediglich 10 Prozent der Schelfressourcen, gefolgt von Kanada, Dänemark, Grönland und Norwegen, die sich die verbleibenden 10 Prozent teilen. Russlands geschätzte erkundete Offshore-Ölreserven belaufen sich auf fünf Milliarden Tonnen Öläquivalent. Norwegen liegt mit einer Milliarde Tonnen nachgewiesener Reserven weit abgeschlagen an zweiter Stelle.
„Doch aus verschiedenen Gründen – sowohl wirtschaftlichen als auch ökologischen – könnten diese Ressourcen ungenutzt bleiben“, sagte Anna Kireeva, Analystin der Umweltschutzorganisation Bellona. „Viele Schätzungen gehen davon aus, dass die weltweite Ölnachfrage bereits in vier Jahren, im Jahr 2023, ihren Höhepunkt erreichen könnte. Enorme staatliche Investitionsfonds, die selbst auf Öleinnahmen basieren, ziehen sich ebenfalls aus dem Ölsektor zurück – ein Schritt, der einen globalen Kapitalumschwung weg von fossilen Brennstoffen auslösen könnte, da Regierungen und institutionelle Anleger massiv in erneuerbare Energien investieren.“
Gleichzeitig wird ein Anstieg des Erdgasverbrauchs in den nächsten 20 bis 30 Jahren erwartet – und Erdgas macht einen Großteil der russischen Ressourcen aus, nicht nur im arktischen Schelfgebiet, sondern auch an Land. Präsident Wladimir Putin habe erklärt, Russland zum weltweit größten Erdgaslieferanten machen zu wollen – ein angesichts der Konkurrenz aus dem Nahen Osten unwahrscheinliches Unterfangen, fügte Kireeva hinzu.
Russische Ölkonzerne behaupteten jedoch, dass dieses Schelfprojekt wahrscheinlich die Zukunft der russischen Öl- und Gasindustrie darstellen werde.
Eines der wichtigsten strategischen Gebiete von Rosneft ist die Erschließung von Kohlenwasserstoffvorkommen auf dem Kontinentalschelf, teilte das Unternehmen mit.
Heute, da nahezu alle großen Onshore-Öl- und Gasfelder entdeckt und erschlossen sind und Technologien sowie die Schieferölproduktion rasant zunehmen, ist es unbestreitbar, dass die Zukunft der weltweiten Ölproduktion auf dem Kontinentalschelf des Weltozeans liegt, erklärte Rosneft in einer Mitteilung auf ihrer Website. Der russische Schelf ist mit über sechs Millionen Quadratkilometern der flächenmäßig größte der Welt, und Rosneft ist der größte Lizenzinhaber für den russischen Kontinentalschelf, fügte das Unternehmen hinzu.
Veröffentlichungsdatum: 17. April 2024
